Vom Hoffen zum Handeln

Innovative Lösungen spielen in der öffentlichen Beschaffung weiterhin eine viel zu geringe Rolle. Um das zu ändern, müssen fünf Probleme gelöst werden.
Vor zwei Jahren durfte ich zu einem Journal wie diesem einen Beitrag beisteuern. Mein Titel damals lautete: „Procurement for Good: Wie die öffentliche Beschaffung den Tech-Standort stärken kann”. Mit viel Hoffnung und einer gehörigen Portion Idealismus zeigte der Beitrag auf, wie schön und einfach alles sein könnte: Würde die deutsche öffentliche Verwaltung doch nur großflächig GovTech-Lösungen beschaffen, wäre es um die eigene digitale Transformation deutlich besser gestellt.

Manuel Kilian, Gründer und CEO, GovMind

Nebenbei würde sich die Vergabe öffentlicher Aufträge an junge, innovative GovTech-Firmen positiv auf deren Umsätze auswirken, was wiederum dem Wirtschafts- und Tech-Standort Deutschland zugute käme. Denn diese Firmen wachsen in der Regel schnell, bieten Arbeitsplätze für hochqualifiziertes Personal und sorgen dafür, dass Know-how rund um Schlüsseltechnologien, die in ihren GovTech-Produkten zum Einsatz kommen, nicht in andere Weltregionen abwandert. Mit letzterem wäre ein konkreter Beitrag zur digitalen Souveränität geleistet.

Was sich in der Theorie schlüssig anhört, scheitert in der Realität immer noch viel zu oft und das Prinzip Hoffnung genügt nicht, um mehr GovTech-Lösungen in die Anwendung zu bringen. Für uns bei GovMind, selbst ein deutsches GovTech-Start-up, das die öffentliche Verwaltung beim Auffinden passender GovTech-Innovationen unterstützt, haben sich mittlerweile die folgenden fünf Problemfelder herauskristallisiert, die einer breiten Nutzung von GovTech im Wege stehen.

Die Begriffe GovTech und Innovation werden hier folgend gleichbedeutend benutzt und umfassen alle Lösungen, die ein bestehendes Problem deutlich effizienter oder effektiver als bisher lösen.

1. Innovative Lösungen gelten als Randphänomen

In den Köpfen vieler Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung werden innovative Lösungen als Randphänomen wahrgenommen, die mit der eigenen Arbeit und damit einhergehenden Beschaffungsvorgängen wenig zu tun haben.

Dass die Beschaffung von Innovationen aber kein Randphänomen ist, zeigt eine bereits 2016 veröffentlichte Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Dort wurde ermittelt, dass der mögliche Anteil innovativer Produkte am Beschaffungsvolumen bei zwölf bis 15 Prozent liegt. Daraus ergibt sich ein jährliches Beschaffungsvolumen von 40 bis 50 Milliarden Euro, das auf Innovationen entfallen könnte.

Das Brandenburgische Vergabegesetz schreibt folglich vor, bei Vergaben die (Nicht-)Berücksichtigung von Innovationen zu dokumentieren. Das ist ein erster, wichtiger Schritt für ein systemimmanentes Mitdenken von Innovationen und führt zu der Frage, warum dies nicht auch in allen anderen Bundesländern der Fall ist.

2. Passende Innovationen sind nicht auffindbar

Artverwandt mit dem vorherigen Punkt ist das Problem, dass die passenden innovativen Lösungen für handelnde Akteure oftmals schlichtweg nicht oder nur sehr schwer auffindbar sind. In unserer Datengrundlage haben wir aktuell 1.836 innovative Anbieter verzeichnet, deren Gründungsdatum zwischen 2000 und 2020 liegt. Knapp die Hälfte davon wurde in den letzten fünf Jahren des Betrachtungszeitraums, also ab dem Jahr 2016, gegründet.

Eben diese jungen Anbieter, also Start-ups, sind deutlich seltener auf Fachmessen für die Verwaltung präsent, landen weniger häufig in den einschlägigen Ergebnissen einer Googlesuche und kommen in verwaltungsinternen Austauschforen schlichtweg nicht vor. Da diese drei Kanäle – Fachmessen, Googlesuche und Austauschforen – hauptsächlich für den Rechercheprozess, der im Kontext des Vergabewesens Markterkundung genannt wird, genutzt werden, ergibt sich ein unbefriedigendes Ergebnis: Gefunden wird damit vor allem das, was man ohnehin schon kennt, und wofür man keine Recherche benötigt hätte.

Was bei der Markterkundung fehlt, ist eine Art „Gelbe Seiten“, in denen innovative Anbieter und deren Produkte systematisch und zuverlässig verzeichnet sind. Das würde die bisher üblichen Wege deutlich abkürzen. Genau aus diesem Grund entwickeln wir bei GovMind eine intelligente Plattform, über die Verwaltungsakteure so einfach und schnell wie möglich passende Innovationen finden können.

3. Beschaffung von Innovationen wird mit „innovativer Beschaffung“ verwechselt

Die bereits genannten 1.836 innovativen Anbieter stellen aktuell über 4.000 marktfähige Lösungen zur Verfügung, welche GovMind entlang von 300 Produktkategorien verzeichnet. Die Betonung im vorherigen Satz sollte auf der Marktfähigkeit dieser Lösungen liegen: Sie sind erwerbbar und sofort nutzbar.

Diese Lösungen könnten mithilfe derselben Vergabepraktiken beschafft werden, mit denen auch alle anderen Bedarfe gedeckt werden – von Druckerpapier über den Fuhrpark einer Stadtreinigung zur Belieferung einer Schulmensa mit Mahlzeiten. Daneben gibt es auch besondere Vergabeverfahren zur Entwicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Lösungen, darunter die sogenannte Innovationspartnerschaft. Innovationspartnerschaften sind wenig erprobt, aufwändig in der Durchführung und für den Einsatz der vorgenannten 4.000 marktfähigen Innovationen vor allem überflüssig.

Dennoch hat sich in den letzten Jahren der Glaube verbreitet, innovative Produkte könnten nur mit besonderen, ergo innovativen Vergabeverfahren wie beispielsweise der Innovationspartnerschaft beschafft werden. Das entspricht schlichtweg nicht der Realität, wie eine Umfrage unter deutschen GovTech-Start-ups zeigt, die wir letztes Jahr gemeinsam mit dem Staatsministerium Baden-Württemberg durchgeführt haben. Bei der Frage, auf welcher Grundlage GovTech-Start-ups Aufträge von Kund:innen aus dem öffentlichen Sektor erhalten, nennen nur acht Prozent der Umfrageteilnehmenden das Instrument der Innovationspartnerschaft. Die überwiegende Mehrheit von GovTech-Startups nutzt Vergabepraktiken, die ein marktfähiges Produkt voraussetzen.

4. Im Beschaffungsprozess wird der Blick zu spät auf Innovationen gerichtet

Entscheidend für den Einsatz von Innovationen ist, zu welchem Zeitpunkt in einem Beschaffungsprozess eine Auseinandersetzung mit ihnen und ihrem technischen Ansatz erfolgt. In den meisten Fällen gilt: Je später sie kennengelernt, beachtet und verstanden werden, desto unwahrscheinlicher wird ihr Einsatz in der Praxis.

Hier ein Beispiel: Im Zuge der Verkehrswende schreiben viele Kommunen Einrichtungen zu stationären Verkehrszählungen auf Fahrradwegen aus. Traditionelle Zählgeräte müssen hierzu aufwändig in die Fahrbahndecke eingebaut werden. Folglich wird in den Ausschreibungen eine Bauleistung vorausgesetzt.

Das schließt innovative Lösungen aus, die eine Verkehrszählung mithilfe von Sensoren über optische Verfahren ermöglichen. Diese Systeme erkennen Fahrzeuge wie Fahrräder oder Motorräder ganz ohne Baumaßnahmen und können entsprechend schneller und zu deutlich geringeren Kosten zum Einsatz gebracht werden.

Ist die Ausschreibung veröffentlicht und werden darin Bauleistungen vorausgesetzt, werden innovative Lösungen faktisch ausgegrenzt. Daher ist die Erkundung des Marktes samt Prüfung des Innovationspotenzials noch vor der Veröffentlichung der Ausschreibung so wichtig.

5. Schwarmintelligenz für die Beschaffung von Innovationen bleibt ungenutzt

Es gibt 30.000 Vergabestellen in Deutschland und eine noch viel größere Anzahl an Fachbereichen und IT-Abteilungen. Hier liegt viel Praxiswissen über den erfolgreichen Einsatz von innovativen Lösungen verstreut. Zwar gibt es verwaltungsinterne Netzwerke und Foren, in denen sich tausende Verwaltungsmitarbeitende zu innovativen Lösungen austauschen. Das gesammelte Wissen von Kommunen, Ländern und Bund sowie öffentlichen Unternehmen, Krankenhäusern und Hochschulen wird hier aber nicht in Gänze greifbar. In anderen Worten: Ein Schwarm, der seine kollektive Intelligenz nicht zum eigenen Vorteil nutzt.

Hinzu kommt, dass die Veröffentlichung von Ausschreibungen in Deutschland aktuell über eine Vielzahl von unterschiedlichen Portalen geschieht und die Datenlage zu vergangenen Vergaben spärlich ist. Das ist nicht nur für Bieter eine Herausforderung, sondern auch für die Verwaltung selbst bleibt so im Verborgenen, ob es bereits anderswo eine innovationsoffene Vergabe gab, auf der eigene Gedanken aufbauen könnten.

Durch die Auswertung verfügbarer Daten und viel eigener Recherche konnten wir bei GovMind zumindest 3.500 Fälle identifizieren, bei denen innovative Anbieter zum Zuge kamen.

Es ist Zeit zu handeln

Wo Probleme klar erkannt sind, können Lösungen folgen. Bei jedem der fünf genannten Problemfelder spielt das (fehlende) Wissen über Innovationen eine wichtige Rolle. Genau deshalb entwickeln wir bei GovMind Angebote, die Verwaltungsakteuren einen passgenauen Zugang zu Innovationen ermöglichen. In einigen Wochen führen wir ein vollumfängliches Tool zur Markterkundung von Innovationen ein. Damit wollen wir einen Beitrag dazu leisten, um aus Hoffen Handeln werden zu lassen – und so Innovationen großflächig in den Einsatz zu bringen.

Das Brandenburgische Vergabegesetz schreibt vor, bei Vergaben die (Nicht-)Berücksichtigung von Innovationen zu dokumentieren.

Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Government Technology“ erschienen.

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