Artikel aus dem Handelsblatt Journal RESTRUKTURIERUNG vom 15.05.2025
Bei einer Verhandlung zu einer Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz kann man nicht einfach aufstehen. Die Folgen sind enorm, oft dramatisch. Es gibt eine wichtige Frage in einer Verhandlung: Wer profitiert von einer Nicht-Einigung?
In dieser Frage ist alles enthalten, was für eine Einigung oder einer Nicht-Einigung bedacht werden muss. Wie ist die Macht verteilt, welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es und welche Konsequenzen gibt es zu ertragen?
Interessant bei diesen Bewertungen ist das Fehlen einer rationalen und berechenbaren Grundlage. Wie kann man Macht berechnen und bewerten? Es ist eine subjektive Bewertung, die meist auf Erfahrungen der Vergangenheit beruht. Dabei gibt es zwei große Fehler, die Unterschätzung und die Überschätzung der eigenen Macht. Wer die eigene Machtposition unterschätzt, stellt zu wenig Forderungen und bietet zu schnell Kooperationsmöglichkeiten an. Wer die eigene Macht überschätzt, steigt zu hoch in die Verhandlung ein und bietet keine oder zu wenig Kooperation an.
Genauso subjektiv ist die Bewertung der Sanktionsmöglichkeiten und der folgenden Konsequenzen. In der Betreuung von schwierigen Verhandlungen stellen wir fest, dass Entscheidungsträger die eigene Machtposition dramatisch unterschätzen und die Folgen überschätzen. Die Angst um das Verlieren des eigenen Unternehmens, die finanziellen Folgen oder die eigene Karriere übertönen die Fakten und die rationale Bewertung.
Zu wenig beachtet wird die Angst der Gegenseite. Auch die Verhandlungspartner auf der anderen Seite des Verhandlungstisches haben viel zu verlieren und Angst vor einer Nicht-Einigung. Hätte die Gegenseite dies Angst nicht, würde sie nicht verhandeln.
Die eigene Angst ist in Verhandlungen ein schlechter Ratgeber. Es ist deshalb wichtig, die Folgen einer möglichen Nicht-Einigung vor dem Beginn einer Verhandlung in aller Ruhe, ohne Emotionen, zu besprechen. Bei dieser Besprechung sollten Leute eingeladen werden, die der eigenen Meinung widersprechen und somit neue Perspektiven einbringen. Wer sich vor schwierigen Verhandlungen mit Ja-Sagern umgibt, wird später emotional entscheiden und die Verhandlung verlieren.
Entscheidungsträger sind in schwierigen Situationen oft überfordert und schotten sich deshalb ab. Man möchte Klarheit und die „richtigen“ Informationen für eine Bewertung der Situation. Informationen werden deshalb vorab gefiltert und nur noch Manager in Meetings eingeladen, die keine Probleme bereiten. Die eigene Meinung soll unterstützt und in dieser schwierigen, unter Zeitdruck stehenden Phase, nicht mehr infrage gestellt werden. Sollte noch Zeit sein, dann wird gerne eine „second opinion“ einer externen Kanzlei angefragt. Interessant ist dabei, dass die Vorgaben der Bewertung subjektiv eingefärbt sind und ein Ergebnis die eigene Meinung unterstützen wird.
Es gilt, die möglichen Folgen einer Einigung und einer Nicht-Einigung gegenüberzustellen. Dabei sollte bedacht werden, dass die negativen Folgen einer Nicht-Einigung meist überschätzt werden. Wer mit dieser Angst vor einer Nicht-Einigung eine Verhandlung startet, wird Signale der Machtlosigkeit senden und viel zu früh Kooperation und Kompromisse anbieten. Wichtig ist immer der Gedanke, dass die Gegenseite auch negative Folgen einer Nicht-Einigung zu tragen hat. Man darf der Gegenseite die Folgen nicht vorrechnen und nicht ansprechen. In Betracht ziehen sollte man sie jedoch schon.
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