Prozessfinanzierer unterstützen Insolvenzverwalter besonders in massearmen Verfahren

Prozessfinanzierer unterstützen Insolvenzverwalter besonders in massearmen Verfahren

Interview mit Theo Päffgen, Director of Litigation Funding mit Fokus auf Kontinentaleuropa bei Harbour Litigation Funding, über die Herausforderungen der Prozessfinanzierung im Schatten von Corona-Pandemie und Brexit.

Redaktion: Gerhard Walter, Solutions by HANDELSBLATT MEDIA GROUP GMBH

Ökonomen warnen: Infolge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen vorläufigen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht könnte es 2021 zu vermeintlich höheren Insolvenzen kommen. Inwiefern kann sich mit Blick auf dieses Szenario das Thema Litigation Funding für die Versicherungswirtschaft zum Risiko entwickeln?
Hätte es nicht noch in letzter Minute das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrecht (SanInsFoG) und insbesondere als Teil davon das Unternehmensstabilisierungs- und -Restrukturierungsgesetz (StaRUG) mit Wirkung ab dem 1.1.2021 gegeben, so hätte die Flut der Insolvenzen für die Gesamtwirtschaft Deutschlands verheerenden Charakter gehabt.
Als Litigation Funder übernehmen wir die Kosten der Durchsetzung von Forderungen, insbesondere aus Insolvenzanfechtungen, und auch deren teilweise Monetarisierung und unterstützen damit die Insolvenzverwalter besonders in massearmen Verfahren.

Die mit dem SanInsFoG zur Verfügung gestellten Werkzeuge zur Vermeidung von Insolvenzen durch Krisenfrüherkennung, Krisenmanagement und Umgestaltung von Rechtsverhältnissen im Rahmen eines Restrukturierungsplanes nach StaRUG wären in der Lage, 2021 die große Flut von Insolvenzen aufzuhalten, wenn es in gehöriger Zahl „Handwerker“ gäbe, die mit diesen Werkzeugen umgehen können.

Nach meiner Einschätzung wird der Effekt des SanInsFoG einen Wirkungsgrad von maximal 50 Prozent seines Potentials entfalten, weil es schlicht an kompetenten Beratungskapazitäten fehlen wird, die schnell genug in der Lage sind, den vor der Insolvenz des Unternehmens schützenden Wirkungsgrad des Gesetzes anzuwenden.
Insoweit kann Litigation Funding als unterstützende Liquidität für Insolvenzverwalter bei der Durchsetzung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung oder aus D&O Policen durchaus in 2021 in dem Maße, wie die Flut der Insolvenzen aufgrund der Pandemie nicht durch das SanInsFoG eingedämmt wird, zu einem erhöhten Risiko der Inanspruchnahme für die Versicherungswirtschaft führen.

Sind die Versicherer überhaupt personell so aufgestellt, um auf die mögliche Menge an Schadenfällen angemessen zu reagieren?
Ganz ehrlich? Nach meiner Einschätzung ist keine Industrie personell so aufgestellt, dass sie auf die Folgen dieser Pandemie angemessen reagieren kann. Die personellen Kapazitäten der Insolvenzgerichte, der Insolvenzverwalter, der Restrukturierungs- und Sanierungsberater, der Insolvenzrechtler, der Litigation Funder und natürlich auch der Versicherungswirtschaft werden die erwartete Menge der Fälle nicht angemessen bearbeiten können.

Auch der Diesel-Skandal und die Schadenersatzklagen der Wirecard-Aktionäre stellen die Versicherungswirtschaft vor gewaltige Herausforderungen – zumal es einige Zeit dauern wird, bis die Gerichte ein Urteil fällen werden. Vor diesem Hintergrund – müssten die Prämien nicht massiv angehoben werden?
Ohne mich mit der komplizierten Materie der Prämienberechnung beschäftigt zu haben, spricht schon die Tatsache der außergewöhnlichen Fallkonstellationen und deren Schadensbild dafür, dass diese außerhalb des antizipierten Schadensspektrum liegen, also braucht es entweder neue Haftungsausschlüsse für diese außergewöhnlichen Fallkonstellationen oder die Erhöhung der Prämie für diese Risiken.

Mit welchen Folgen beim Litigation Funding rechnen Sie durch den Brexit? Ruhm und Ehre oder eher finanzielle Einbußen?
Mit dem Brexit wurde auch die Trennung der Rechtssysteme Common Law (UK) und Zivilrecht (Kontinentales Europa) vollzogen. Der englische Rechtskreis, heute noch stark beeinflusst von der europäischen Gesetzgebung, wird sich mehr und mehr zurück besinnen auf seine Ursprünge, dem nicht kodifizierten Recht. Mittel- und langfristig wird dies nach meiner Einschätzung dazu führen, dass sich im internationalen Rechtsverkehr, insbesondere in der Europäischen Gemeinschaft, der Vormarsch des Common Law, in der Form von Rechtswahl und Gerichtsstandklauseln, umkehren wird.

Die überwiegende Anzahl der Rechtsstreitigkeiten entsteht aus Rechtsgeschäften. Wenn diese in der Zukunft mehr und mehr wieder nach dem Zivilrecht und weniger nach Common Law geschlossen werden, verlagert sich der Schwerpunkt der Geschäftschancen für Litigation Funder mehr und mehr nach Kontinental Europa. Dieser Effekt ist meiner Einschätzung nach nicht unterjährig zu erwarten, sondern wird eine mittel bis langfristige Entwicklung als Folge des Brexits sein und auch die Geschäftstätigkeit der international beratenden Rechtsanwaltskanzleien stark beeinflussen.

Wird es möglicherweise Klagen gegen die EU-Kommission oder die britische Regierung geben, die der größte Prozesskostenfinanzierer der Welt mit Sitz in London dann finanziert?
Wenn die Erfolgsaussichten überwiegend positiv, der Streitwert signifikant und die Bonität des Beklagten gut genug ist, warum nicht?

Theo Päffgen ist Geschäftsführer der Harbour Litigation Funding GmbH mit Sitz in Bonn und Director of Litigation Funding mit Fokus auf Kontinentaleuropa beim marktführenden Prozessfinanzierer Harbour Litigation Funding mit Sitz in London. Vor seinem Eintritt bei Harbour war Theo Päffgen als Regional Managing Director (DACH) bei Vannin Capital tätig, zuvor war der Jurist Vorstandsvorsitzender von FORIS, dem seit 1999 ersten deutschen Prozessfinanzierer. Theo Päffgen ist Rechtsanwalt und Solicitor (England/Wales).