Mit der Dekarbonisierung der Industrie haben wir den größten Hebel zur Erreichung der Klimaschutzziele in der Hand. Denn Energiewirtschaft, verarbeitendes und produzierendes Gewerbe sind gemeinsam für rund 60 Prozent aller Treibhausgase in Deutschland verantwortlich. Laut Klimaschutzgesetz müssen Industrieunternehmen bis 2030 ihren Ausstoß von heute 164 Megatonnen CO2 auf 118 Tonnen reduzieren. Mit Blick auf das Ausgangsjahr 1190 ist das ein Abbau von 65 Prozent. Bis 2035 muss diese Reduzierung bei 88 Prozent liegen, spätestens 2045 sollen deutsche Fabriken dann vollständig klimaneutral produzieren.
Rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs der Industrie wird aktuell durch Gas gedeckt. Dazu zählen die Hochtemperaturprozesse in der Stahl-, Glas- oder Zinkindustrie sowie die Bereitstellung von Prozesswärme zum Schmelzen, Härten und Trocknen. Zusätzlich wird Gas auch stofflich genutzt, unter anderem bei der Herstellung von Düngemitteln, Medikamenten, Kunst- oder Klebstoff.
Um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen, spielen der effizientere Einsatz von Energie sowie die zunehmende Elektrifizierung eine wichtige Rolle. Doch nicht bei allen Industrieprozessen ist dies technisch möglich. So wird beispielsweise Altglas in Schmelzwannen bei Temperaturen von bis zu 1.650 Grad Celsius eingeschmolzen. Für das Erreichen dieser hohen Prozesstemperaturen bietet Wasserstoff künftig eine klimaneutrale Lösungsoption.
Resiliente Transformation dank neuer Gase
Neue Gase, wie Biomethan, Wasserstoff und seine Derivate, sind die Lösung, um für die Industrie auch in einer klimaneutralen Zukunft eine resiliente Energieversorgung zu sichern.
Denn an Gas führt in der Industrie kein Weg vorbei. Mit Blick auf die Klimaziele ist klar: Neben höherer Energieeffizienz und erneuerbarem Strom werden neue Gase die dritte Säule bilden, auf der die Dekarbonisierung der Industrie fußt. Viele Industrieunternehmen entwickeln auf dieser Basis bereits gemeinsam mit Energieversorgern neue Konzepte zur Umstellung ihrer Energieversorgung und ihrer Produktionsprozesse. So stellt beispielsweise BMW in seiner iFactory in Leipzig die Fertigung um und wird dort auf den Einsatz von fossilen Energieträgern verzichten und den benötigten erneuerbaren Strom auf dem Gelände produzieren und regional importieren. Wasserstoff wird bereits als Antrieb für 130 Flurförderfahrzeuge genutzt und soll zukünftig auch in der Lackiererei eingesetzt werden. Dafür wird eine neue Brennertechnologie ausprobiert, die bisher nur in diesem Werk verwendet wird.
Die Gasbranche begleitet die Transformation der Industrie nicht nur, sondern steckt selber mitten in der Transformation hin zu neuen Gasen und somit auch hin zur Klimaneutralität. Durch neue Gase wird unter anderem die Energie aus Wind und Sonne in Form von Wasserstoff speicherbar und kann so jederzeit eine kontinuierliche Stromversorgung gewährleisten. Neben der Strom- und Wärmeerzeugung dient Gas auch als Ausgangsstoff für zahlreiche organische Verbindungen, darunter Ammoniak. Auch für die stoffliche Nutzung werden in Zukunft neue Gase eine große Rolle spielen, insbesondere klimaneutral erzeugter Wasserstoff.
Wasserstoffhochlauf für die Industrie
Ein wichtiger Schritt in Richtung neuer Gase ist die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Gemeinsam mit den Eckpunkten der Kraftwerkstrategie und den veröffentlichten Plänen für ein Wasserstoffkernnetzes von den Fernleitungsnetzbetreibern sendet sie ein starkes Signal Richtung Wasserstoffhochlauf.
Insbesondere für den Einsatz in der Industrie wird der Bedarf an Wasserstoff in Deutschland in den kommenden Jahren sehr hoch sein. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Nachfrage bis 2030 bei 95 bis 130 TWh Wasserstoff pro Jahr liegen wird. Diesen Bedarf werden wir nicht ausschließlich durch regionale Erzeugung decken können. Das bedeutet: Wir werden auch in Zukunft Energie importieren.
Neue Infrastruktur für neue Gase: Sie entsteht bedarfsgerecht aus dem Bestand
Dafür muss nun schnellstmöglich die entsprechende Importinfrastruktur aufgebaut werden. Ein wichtiger Baustein dafür ist die bestehende Gasinfrastruktur, denn aus dieser heraus kann die künftige Wasserstoffinfrastruktur schnell und kostengünstig aufgebaut werden. Das betrifft sowohl die Gasfernleitungs- und Gasverteilnetze als auch die Gasspeicher. Der zweite wichtige Baustein sind die Energy-Hubs, die aktuell an den deutschen Küsten entstehen und die bereits für den Import von neuen Gasen wie Wasserstoff bzw. grüner Ammoniak oder synthetisches Gas gebaut werden.
Mit dem Entwurf für ein Wasserstoffkernnetz haben die Fernleitungsnetzbetreiber einen bedeutsamen Schritt in Richtung künftiger Wasserstoffinfrastruktur gemacht. In den weiteren Planungsschritten ist nun wichtig, dass eine gute Leistungsfähigkeit und eine ausreichende Länge des Kernnetzes umgesetzt werden. Dazu gehört auch eine sinnvolle Anbindung der industriellen Zentren im Süden des Landes genauso wie der Energy Hubs im Norden. Darüber hinaus dürfen auch die vielen mittelständischen Gewerbebetriebe nicht vergessen werden: Sie sind oftmals an das Gasverteilnetz angeschlossen, für das auch eine schnelle Transformation Richtung Wasserstoff umgesetzt werden muss.
Carbon Management: Lösung für unvermeidbare Prozessemissionen
Doch auch nach dem Verzicht auf fossile Energieträger bleibt oftmals das ungelöste Problem von Prozessemissionen, beispielsweise in der Zement-, Kalk- und Glasindustrie sowie in der Abfallwirtschaft. Für diese schwer vermeidbaren Treibhausgasemissionen, die sich nicht durch die Substitution fossiler Brennstoffe mit klimaneutralen Energieträgern oder durch wirtschaftlich sinnvolle Verbesserungen im Produktionsprozess eliminieren lassen, stellt Carbon Management eine Lösungsoption für die Industrie dar.
Unter Carbon Management wird die Abscheidung, der Transport, die Speicherung sowie die anschließende Nutzung von CO2 zusammengefasst. Dies hat eine außerordentliche Bedeutung für das Erreichen der Klimaziele bei gleichzeitiger Sicherung des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Deutschland. Ziel muss sein, schwer vermeidbare Emissionen wirtschaftlich abzuscheiden, zu transportieren und entweder im Sinne einer CO2-Kreislaufwirtschaft zu nutzen oder geologisch einzuspeichern, beispielsweise in der Nordsee.
Der Aufbau einer europäischen CO2-Infrastruktur in Form eines transeuropäischen CO2-Pipelinenetzes, Häfen für den Schiffstransport des Gases sowie Speicher an den Punktquellen (bspw. Produktionsstätten) ist ein zentraler Punkt für ein nationales und europäisches Carbon Management. Zudem ist für die Schaffung eines europäischen Marktes für CO2 erforderlich, auf EU-Ebene innerhalb der jeweiligen relevanten Rechtsetzungsakte klare und einheitliche Regeln zu entwickeln, die einen transnationalen Handel von CO2 und die europaweite Anrechnung von CO2-Minderung ermöglichen.
Die von der Bundesregierung initiierte und aktuell in der Ausarbeitung befindliche Carbon-Management-Strategie ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Sie schafft die Möglichkeit, dass Deutschland an die intensiven Entwicklungen im Ausland anschließen kann.
Gas- und Wasserstoffwirtschaft unterstützt die Industrie
Die deutsche Gas- und Wasserstoffwirtschaft ist Dekarbonisierungspartner der Industrie: Sie setzt sich sowohl für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ein als auch für den Aufbau einer CO2-Wirtschaft. Wir sind davon überzeugt, dass die Transformation hin zur Klimaneutralität nur mit umfassender Kooperation der Energiewirtschaft, Industrie und sämtlichen relevanten politischen und gesellschaftlichen sowie wissenschaftlichen Akteuren gelingen kann. Mit unserem Know-how, Kapital und Gestaltungswille stehen wir als Partner der Transformation zur Verfügung.