LEADERSHIP-TALK mit Verena Bahlsen

Selten ist das Leben einer Familienunternehmerin so öffentlich geworden wie das von Verena Bahlsen. Die 31-Jährige war die „Keks“-Erbin, die das vom Urgroßvater Hermann Bahlsen in Hannover gegründete Unternehmen aufmischte. Sie war die Mitteilsame, die mit unpassenden Aussagen aneckte. Sie war die tränenreich Gescheiterte, die im Herbst 2022 als „Chief Mission Officer“ im Konzern aufhörte. Mit meinem Kollegen Hans-Jürgen Jakobs hat die Bahlsen-Gesellschafterin über ihr neues Leben nach der Karriere im Familienkonzern, die Vorteile als Freelancerin und die Millennial-Generation gesprochen.

Verena Bahlsen

Frau Bahlsen, viele in Ihrem Alter träumen von Konzernkarrieren. Sie haben eine hinter sich. Wie ist Ihr aktuelles Leben als Freelancerin? 

Das ist quasi die andere Richtung. Freelancer zu sein ist das krasse Gegenteil zu Konzern. 

Üblicherweise beginnt man irgendwo als freie Mitarbeiterin oder freier Mitarbeiter, dann kommt die Festanstellung. Sie waren bis Herbst 2022 Chief Mission Officer von Bahlsen. Nun agieren Sie in einem Netzwerk von Beratern für Markenarbeit. 

Es fühlt sich für mich wie ein Neustart an. Ich war in einer bestimmten Welt und hatte geplant, dort für immer zu sein. Dann kam eine Phase der Orientierungslosigkeit. Nun mache ich alles selbst: die Buchhaltung, den Schriftverkehr, jedes Stück Arbeit. Es gibt auch keine Teams mehr, die mir zuarbeiten. Es gibt nur ein Netzwerk: ein Developer, eine Texterin, ein Designer, eine Strategin – alles, was man so braucht. 

Fühlen Sie sich in dieser neuen Freelancer-Konstellation richtig „frei“? 

Ja, und zwar in zwei Richtungen: Alles, was funktioniert, ist meine Schuld, und alles, was schiefgeht, ist auch meine Schuld. Das ist eine neue Erfahrung im Vergleich zum Konzern. Da geht es darum, mit vielen Menschen über viele Jahre in hoffentlich dieselbe Richtung zu laufen. Beim Relaunch der Kekse von Bahlsen und Leibniz hatten Hunderte Menschen mitgemacht. Derzeit machen wir kleine Projekte, bei denen ich jedes Wort selbst geschrieben habe. Wenn es nicht sitzt … meine Verantwortung! Jeden Euro habe ich verdient – oder auch nicht. 

Sie beraten Start-ups, wie sie zu einer Marke werden können. Ein zukunftssicheres Geschäft? 

Wenn ich mit Start-ups rede, haben sie meistens null Lust, in Marken zu investieren. Auf der einen Seite ist zu Beginn einer Firma das Geld knapp. Da erscheint es sinnvoller, in eine Maschine oder in Software zu investieren. Und dann haben alle wahrgenommen, dass man beim Branding viel Geld aus dem Fenster rausschmeißen kann. Wenn man mit großen Agenturen zusammenarbeitet, folgen daraus wilde Analysen, komplexe Strategieprozesse und Drei-Monats-Geschichten. Das haben ich und meine Mitstreiter als Kunden selbst so erlebt. Das Überflüssige wollen wir von vorneherein streichen. Wenn die Firma des Kunden größer wird, ergibt es dann vielleicht Sinn, eine Agentur zu beauftragen. 

Sie erklären, auch um zwei Uhr morgens für Meldungen der Kunden empfänglich zu sein. Arbeiten Sie jetzt rund um die Uhr? 

Überhaupt nicht. Aus einem Familienunternehmen stammend, habe ich gelernt, mich voll einzubringen. Es geht beim Branding um extrem persönliche Beziehungen. Damals bei Bahlsen sind mein Vater und ich zusammen durch den Wald spaziert und haben diskutiert, was wir mit unseren Marken machen wollen. Nur so entsteht Identität. 

Soll es am Ende eine Firma werden, die wächst und wächst? 

Wie wäre es denn mal, etwas zu machen, das nicht skaliert wird? Muss es denn immer um Super-Wachstum gehen? Natürlich spüre ich in mir den Impuls, die Dinge rasch größer werden zu lassen. Aber eigentlich ist für mich etwas ganz anderes wichtig: nämlich die richtigen Dinge auf kleinem Niveau zu machen. Den Mut haben zu sagen: „Jetzt haben wir keine Kapazität mehr, also nehmen wir keinen Auftrag mehr an.“ Wir machen nur drei Projekte im Quartal, das ist eine wirklich kleine Kugel. Und das ist das so Befreiende daran. 

Sie wollen im „kleinen, friedvollen Atelier“ bleiben, wie Sie das nennen? 

Bis auf Weiteres setze ich auf das totale Kontrastprogramm zum Wirtschafts-Mainstream. 

Da geht es darum, mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Marktanteile zu erzielen. 

Es ist eine Ego-Frage: Was kann für mich nach Bahlsen persönlicher Erfolg sein? Reicht es, Qualität zu liefern und gute Arbeit zu machen? Es ist, ehrlich gesagt, auch eine Selbstübung. Ich komme natürlich aus einem bestimmten Milieu. Das prägt mich. 

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