LEADERSHIP-TALK mit Aurelia Hölzer

Aurelia Hölzer hat in der Antarktis überwintert und gearbeitet – als Leiterin der Polarforschungsstation Neumayer III des Alfred-Wegener-Instituts und als einzige Ärztin. Sie war Teil eines neunköpfigen Teams aus Wissenschaftlern, Technikern und einem Koch, das am Ende der Welt in völliger Isolation alles selbst schaffen musste. Im Interview erzählt sie, was sie in dieser Zeit gelernt hat.

(Foto: Michael Trautmann)

Frau Hölzer, was heißt eigentlich „überwintern“? 

Im Winter kommt kein Eisbrecher durch den Packeisgürtel. Fliegen geht auch nicht, weil es fast immer stürmt. Man kann sieben Monate nicht weg und keine Hilfe holen, auch nicht wenn jemand durchdreht oder sich schwer verletzt. Wir konnten nichts einkaufen und keine Ersatzteile besorgen. Wir hatten keine Pause von der Station und voneinander, waren immer in Rufbereitschaft. Ob Arbeit, Sicherheit oder soziales Miteinander: Wir waren ultimativ für uns selbst verantwortlich. 

Konkret? 

Wir waren unser Kraftwerk, unser Krankenhaus, unsere Feuerwehr, unsere Werkstatt, unsere IT, unsere Küche. Wir waren einander Freunde und Familie – und natürlich auch unsere eigenen Animateure. 

Und Sie waren die einzige Ärztin vor Ort. 

Ja, ich musste mich komplett umstellen. Ich bin Gefäßchirurgin, war Oberärztin am Universitätsklinikum. Da gibt es für alles jemanden. Und plötzlich war ich allein. Ich habe alles selbst gemacht: Röntgen, Ultraschall, EKG. Ich war Apothekerin und Laborantin. Ich habe Instrumente sterilisiert. Ich habe alles behandelt, von Ausschlag über Ohrenentzündung bis Zahnschmerzen. Ich habe alle Geräte, die im Schrank lagen, ausprobiert. Die Lampe, mit der man ins Auge leuchtet, um die Netzhaut zu untersuchen. Den Schädelbohrer, mit dem man bei Hirnblutungen den Druck mindert. 

Mit begrenzten Ressourcen gemeinsam Widrigkeiten überwinden, anstatt zu jammern – klingt so, als könnten wir als Gesellschaft einiges von Ihren Antarktis-Erfahrungen lernen, oder? 

Ich habe viel Selbstwirksamkeit erfahren – nicht nur als Ärztin. Ich war auch Brandschutzbeauftragte und habe bei allen möglichen Reparaturen geholfen. Vieles von dem, was ich in der Antarktis gemacht habe, hatte ich vorher nie gemacht. Man lernt auch, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. In dieser unglaublichen Weite, mitten in Eis und Kälte, fühlt man sich sehr klein und akzeptiert die eigene Vergänglichkeit. 

Und sieht eher die Stärken der anderen als ihre Schwächen? 

Definitiv. Und ich habe gelernt, anderen die Freiräume zu geben, die sie brauchen, um diese Stärken auszuspielen – und auch Risiken zuzulassen. Das war für mich als Ärztin nicht leicht. Mir sind schon Menschen unter den Händen auf dem OP-Tisch weggestorben, das gehört zum Beruf. Und trotzdem: Wer alle Risiken abstellt, erstickt das Leben. Ich habe offen mit dem Team darüber gesprochen, dass ich nicht alles behandeln kann und man als Schwerverletzter mit den begrenzten Mitteln an diesem Ort stirbt. 

War das nicht eine enorme Belastung? 

Am letzten Abend unserer Überwinterung, bevor das erste Flugzeug kam, fiel ein Riesengewicht von mir ab. Da habe ich gedacht: „Guck mal an, das hast du die ganze Zeit getragen.“ Ich habe das lange gar nicht gemerkt. 

Und gab es eine Situation, in der Sie sich selbst den anderen ausgeliefert haben? 

Einmal habe ich an einem Seil, das die anderen festgehalten haben, die Eiskante erkundet. Ich kann weder klettern noch bin ich schwindelfrei. Aber ich wusste, worauf ich achten muss, und hatte das Team im Rücken. 


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