Künftig sollen Bürgerinnen und Bürger beispielsweise bei einem Umzug sämtliche damit verbundenen Dienstleistungen in einem Rutsch online erledigen können: Wohnungssuche, Umzugsorganisation, Wechsel der Meldeadresse, Schulanmeldung der Kinder, Meldung des Hundes an die Steuerbehörde, Aktualisierung der Daten bei Energieversorgern und Banken sowie Online-Händlern. Unterschiedliche Behörden sowie private Dienstleister werden zu einer ganzheitlichen Serviceleistung verknüpft. Vernetzte Systeme passen die erforderlichen Daten automatisiert an, sobald der Umzug gemeldet wurde.
Dieses Zielbild verfolgen Govtechs. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgelegt, dass kundenfreundliche Apps entstehen, die Bürgerinnen und Bürger je nach Lebenslage optimal unterstützen. Die öffentliche Verwaltung kann hiervon profitieren, werden doch die Energie und der Geschäftssinn von Govtechs genutzt, um kundenorientierte Verwaltungsleistungen bereitzustellen.
Die Vision kann Wirklichkeit werden, wenn die unterschiedlichen Regeln, Standards, Prozesse, IT-Systeme und Datenhaushalte interoperabel sind. Das bedeutet nicht, dass alle Behörden ihre Arbeit und ihre Technik vereinheitlichen sollen. Sie müssen aber miteinander sprechen können und dürfen sich nicht gegenseitig aussperren.
Das „European Interoperability Framework“ (EIF) der EU schlüsselt Interoperabilität auf in rechtliche, organisationale, semantische und technische Interoperabilität. Die vier Dimensionen zeigen, wie komplex und wie wichtig das Thema ist.
- Rechtliche Interoperabilität: Die verschiedenen geltenden Vorschriften werden in Einklang gebracht.
- Organisationale Interoperabilität: aufeinander abgestimmte Arbeitsabläufe und -prozesse von verschiedenen Organisationen.
- Semantische Interoperabilität: Datenstandards und -formate lassen sich in verschiedenen Organisationen nutzen.
- Technische Interoperabilität: IT-Systeme verschiedener Organisationen lassen sich miteinander vernetzen.
Zwei wichtige gesetzliche Treiber für Interoperabilität in Deutschland
Im Onlinezugangsgesetz (OZG) steckt bereits der Auftrag, für Interoperabilität zu sorgen, und zwar durch das Prinzip EfA („Einer für Alle“). Einzelne Bundesländer übernehmen ein bestimmtes Digitalisierungsthema. Die entwickelten Leistungen können andere öffentliche Verwaltungen wiederverwenden. Diese digitale Wiederverwendbarkeit funktioniert aber nur, wenn die Behörden Deutschlands und ihre IT-Systeme miteinander interoperabel sind.
Das gilt ebenso für das Registermodernisierungsgesetz: Bürgerinnen und Bürger sollen sich nur an eine Behörde wenden müssen und diese besorgt sich die benötigten Informationen und Nachweise ggf. von anderen Behörden (Once-only-Prinzip). Das wird möglich durch eine Verknüpfung der Datenregister. Register lassen sich jedoch nur verknüpfen, wenn Datenbanken im Hintergrund miteinander „sprechen“ können, die Daten im benötigten Format vorrätig haben oder sie per Konverter übersetzen.
Ohne Interoperabilität keine Govtech-Zusammenarbeit
Interoperabilität zeigt sich in Ansätzen bei der elektronischen Steuererklärung „Mein Elster“. Deren API-Schnittstelle ermöglicht das Übermitteln und Abholen von Daten zur und von der Steuerverwaltung. Zudem lässt sich der Service in andere Softwarelösungen integrieren, so dass Unternehmen eigene Lösungen und Leistungen rund um das Thema elektronische Steuererklärung anbieten können. Mehr als 500 Softwareprodukte unterstützen Elster, heißt es auf der Website.
Diese Form der Öffnung ermöglicht die Nach- und Weiternutzung digitaler Lösungen durch andere und sollte künftig noch viel weiter gedacht werden. Die öffentliche Verwaltung kann Expertise von außen gut gebrauchen, um moderne digitale Leistungen anzubieten. Sie muss nicht alles im Alleingang entwickeln. Es gibt viele Start-ups, die sich auf einzelne Verwaltungsleistungen und deren digitale Unterstützung spezialisiert haben.
Ihre Lösungen erfordern einen starken Abbau von Hürden in der Zusammenarbeit, damit sie skalieren können. Eine vernünftige Anbindung durch Schnittstellen ist nur ein Teil davon. Es geht zudem um eine andere Verarbeitung von Daten – beispielsweise weg von der Batch- hin zur Echtzeitverarbeitung für unmittelbares Nutzerfeedback.
Das Herstellen von Interoperabilität erfordert einen Kraftakt von den Beteiligten. Die Investitionen rechnen sich, weil Behörden deutlich stärker mit Govtechs zusammenarbeiten, von ihrer Expertise profitieren, Redundanzen untereinander abbauen, neue Ansätze für Leistungen identifizieren und den digitalen europäischen Binnenmarkt stärken.
Ankündigung: Sopra Steria und PUBLIC arbeiten an Report zu Interoperabilität, API-First und Govtechs
Ein wichtiger Bestandteil von interoperablen Systemen ist die Bereitstellung von APIs. Sopra Steria und PUBLIC wollen die Perspektive und die Bedürfnisse der Akteure in Bezug auf die Umsetzung von Interoperabilität und des API-First-Ansatzes einfangen und so das gegenseitige Verständnis zwischen Verwaltung und privatwirtschaftlichen Dienstleistern fördern. Hierzu findet derzeit eine Umfrage mit verschiedenen Govtechs und Verwaltungen in Europa statt. Die Ergebnisse werden im Sommer veröffentlich.