Fusionsenergie – Deutschlands Chance auf Technologieführerschaft

Die globale Energiewende schreitet voran, doch während Solar- und Windenergie und Batteriespeicher rasant ausgebaut werden, zeichnet sich ein neuer Trend ab: Der zukünftige Energiebedarf steigt deutlich stärker an als erwartet, zu stark, als dass die Erneuerbaren ihm gerecht werden können.

Um den zukünftigen Energiebedarf zu decken bedarf es neuer Energielösungen
Elektroautos, grüner Stahl und vor allem die explosionsartig wachsenden KI-Rechenzentren verlangen nach radikal neuen Energielösungen. Große Technologieunternehmen wie Google, Microsoft, Amazon und Meta setzen in den USA kurzfristig auf Atomkraft, um den immensen Strombedarf ihrer Rechenzentren zu decken. Dort will das Department of Energy bis 2050 die Kapazität des Atomstroms verdreifachen und bis zu 200 Gigawatt Leistung hinzubauen. Gleichzeitig setzt man dort große Hoffnungen in die Fusionsforschung, nachdem vielversprechende Fortschritte in der Forschung erreicht wurden. Die Fusionsenergie verspricht mehr als nur eine technologische Lösung – sie könnte den Industriestandort Deutschland langfristig sichern und ein strategischer Wirtschaftsfaktor werden. Sie erzeugt keine Treibhausgase und nutzt praktisch unbegrenzt verfügbare Brennstoffe. Anders als bei der Kernspaltung fallen in Fusionskraftwerken keine langlebigen radioaktiven Abfälle an. Der entscheidende Paradigmenwechsel vollzieht sich gerade: die Fusionsforschung entwickelt sich von einer reinen Grundlagenforschung zu einem attraktiven Investitionsfeld. Im Dezember 2022 gelang Wissenschaftlern der National Ignition Facility erstmals ein Nettoenergiegewinn – ein Meilenstein, der massive Investitionen auslöste.

Das Wettrennen um die Technologieführerschaft hat begonnen
Die globale Landkarte der Fusionsentwicklung zeigt ein dynamisches Wettrennen: Die USA investieren jährlich rund 800 Millionen US-Dollar, China sogar das Doppelte. Beide Länder setzen nicht mehr nur auf staatliche Forschung, sondern fördern gezielt privatwirtschaftliche Entwicklungen. Die Beschleunigung durch private Start-ups basiert auf einem fundamentalen Unterschied zur akademischen Forschung: Kommerzielle Unternehmen operieren mit einer radikalen Erfolgsorientierung, die staatliche Forschungseinrichtungen oft fehlt. Wo öffentliche Institutionen jahrzehntelang inkrementelle Fortschritte verfolgten, setzen Start-ups auf aggressive Entwicklungszyklen und einen konsequenten Marktfokus. Unternehmen wie Marvel Fusion erforschen nicht nur die physikalischen Vorgänge, sondern errichten gleichzeitig die Lieferketten und definieren den Markt. Einer Mitgliederbefragung des Verbandes Fusion Industry Association zufolge, sind über 70 Prozent der rund 45 privaten Fusionsunternehmen davon überzeugt, dass Fusionskraftwerke bereits vor 2035 Strom produzieren können. Risikokapitalgeber und strategische Investoren wie Amazon, ENI, Google und Bill Gates‘ Breakthrough Energy sehen Fusionsenergie nicht mehr als spekulatives Projekt, sondern als strategische Zukunftsinvestition. Sie finanzieren nicht nur Forschung, sondern bringen Unternehmertum, Industrieexpertise und globale Skalierungskompetenz in die Fusionsentwicklung ein. Das internationale Wettbewerbsumfeld wird damit zunehmend kompetitiver, doch Europa droht den Anschluss zu verlieren. Risikokapitalgeber und Energiekonzerne investierten bis heute rund acht Milliarden Dollar in Fusionsstart-ups, doch nur zwei Prozent davon in Unternehmen in der Europäischen Union. Wir können es uns nicht leisten, mit unserer Forschung in Milliardenhöhe die zukünftigen Marktführer in Übersee zu schaffen. Dabei sitzen in Europa und insbesondere in Deutschland weltweit führende Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen, die noch einen Vorsprung in der Expertise verzeichnen. Doch Forschung allein reicht nicht aus. Damit eines der ersten Kraftwerke auch in Deutschland gebaut werden kann, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen.

Richtige Rahmenbedingungen für zukunftsweisende Technologien
Erstens muss die Übersetzung von öffentlicher Forschung in privatwirtschaftliche Anwendungen massiv beschleunigt werden. Dafür braucht es flexiblere Fördermodelle, die Risiken und Innovationssprünge honorieren. Universitäten und Forschungsinstitute müssen enger mit der Industrie verzahnt werden. Erfolgreiche Modelle wie die Förderung durch den Staat und dessen Rolle als erster Kunde, beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen der NASA und SpaceX, könnten als Blaupause dienen.

Zweitens brauchen wir ein verbessertes Umfeld für Investitionen: Es steht zu wenig Wachstumskapital in Deutschland zur Verfügung, um Deep Tech Firmen langfristig in Deutschland aufzubauen. Dafür braucht es mehr und größere Fonds, sowie ein Umfeld, das Investoren anregt risikofreudiger in zukunftsweisende Technologien zu investieren. Initiativen wie die WIN-Initiative sind ein erster Schritt in diese Richtung, um den Mangel an Wagniskapital auszugleichen. Außerdem sollten staatliche Finanzierungsprogramme Unternehmen basierend auf deren Leistungen unterstützen und somit Technologieführer systematisch aufbauen, wie es in den USA erfolgreich praktiziert wird. Ein solcher meilensteinbasierter Finanzierungsrahmen würde die Planungssicherheit der Unternehmen erhöhen und Investments weiterer privater Investoren fördern. Weiterhin kann der Staat durch Investments in konkrete Entwicklungsinfrastruktur sowie als früher Kunde den Innovations-Standort Deutschland stärken.

Drittens muss eine neue Generation von Fachkräften ausgebildet werden. Studiengänge und Forschungsprogramme müssen interdisziplinär angelegt sein und Kompetenzen in Plasmaphysik, Materialwissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen kombinieren. Internationale Austauschprogramme und Verbundprojekte können dabei helfen, Talente zu gewinnen und zu halten.

Viertens benötigen die Unternehmen Planungssicherheit. Diese kann durch ein klares Signal der Regierung entstehen, wie es die Bold Decadal Vision des Weißen Hauses zugesteht. Auch ein angemessener und international angeglichener Rechtsrahmen, wie die USA und England sie bereits ausgearbeitet haben, kann als solches Signal gelten. Sowohl die USA als auch England haben in deren Rechtsrahmen Fusion klar von der Kernspaltung getrennt – dies führt zu Planungssicherheit bei den Unternehmen und setzt Anreize für private Investments.

Die wirtschaftlichen Potenziale von Fusionsenergie sind enorm
Der Aufbau von Fusionskraftwerken kann Tausende hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen und Deutschland zum Exporteur von Zukunftstechnologien machen. Die Wertschöpfungskette umfasst nicht nur Energieproduktion, sondern unter anderem auch die High-Tech-Sektoren der Lasersysteme und Robotik mit enormem wirtschaftlichem Potenzial. Ein oft unterschätzter Aspekt ist die geopolitische Dimension der Fusionsenergie. Die Technologie könnte die globalen Energiemärkte revolutionieren und Länder von fossilen Brennstoffimporten unabhängig machen. Deutschland hat hier die Chance, nicht nur technologischer Innovator, sondern auch ein Schlüsselakteur der globalen Energiegeopolitik zu werden. Die nächsten fünf Jahre werden entscheidend sein. Entweder gelingt es Deutschland, die Fusionsenergie als strategisches Wirtschaftsprojekt zu begreifen und konsequent zu entwickeln – oder der Kontinent wird zum Zuschauer eines globalen Technologiesprungs degradiert. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden: mit mutigen Investitionen, intellektueller Offenheit und einem systemischen Innovationsansatz. Die Fusionsenergie ist unsere Chance auf eine neue industrielle Innovationskraft und eine Schlüsselrolle in der globalen Energietransformation. ■

Die Technologie könnte die globalen Energiemärkte revolutionieren und Länder von fossilen Brennstoffimporten unabhängig machen.

Heike Freund
Heike Freund COO, Marvel Fusion

© Marvel Fusion GmbH

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