Erwartungen an die Bundesregierung zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Betriebliche Altersversorge und Kapitalanlage“ vom 25.05.2022

Der Koalitionsvertrag der „Ampel-Koalition“ lässt in seinen wenigen Aussagen zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge einigen Interpretationsspielraum zu. Ist der Regierung dieses Ziel wirklich wichtig, muss sie zweierlei in Angriff nehmen: Sie muss erstens die Haftungsrisiken der Arbeitgeber beseitigen, die sich aufgrund der im BetrAVG unklar definierten Beitragsgarantie und der Unsicherheit über die arbeitsrechtlich zulässige Garantie-Untergrenze ergeben. Hierfür könnte der Hinweis, Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen zu erlauben, hilfreich sein. Und sie muss zweitens einige Webfehler des Sozialpartnermodells beseitigen, damit der Hinweis aus dem Koalitionsvertrag, dass das Sozialpartnermodell nun umgesetzt werden soll, unterstützt wird. Auch wenn sich derzeit erstmals eine flächentarifvertragliche Branchenlösung für ein Sozialpartnermodell abzeichnet, zeigen doch die langwierigen und aufwändigen Tarifverhandlungen in verschiedenen Branchen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen durchaus noch Verbesserungspotential enthalten.

Gesetzliche Klarstellung bei der beitragsorientierten Leistungszusage
Wegen der anhaltenden Niedrigzinsphase hat der Gesetzgeber zum 01.01.2022 den Höchstrechnungszins von 0,9 % auf historisch niedrige 0,25 % abgesenkt. Dies hat vielfältige Auswirkungen auch auf die  betriebliche Altersvorsorge. Die Möglichkeiten für die Arbeitgeber, über die herkömmlichen Zusagearten eine attraktive betriebliche Altersvorsorge ohne Haftungsrisiken anzubieten, sind kaum noch gegeben.

Da die geltende Mindestgarantie der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) vor dem Hintergrund der anhaltenden Niedrigzinsphase und aufgrund der Absenkung des Höchstrechnungszinses kaum mehr zu erwirtschaften ist, haben sich zum Jahreswechsel nahezu alle Versicherer aus diesem Geschäft  verabschiedet. Die BZML-Produkte sind daher am Markt praktisch nicht mehr verfügbar.

In der beitragsorientierten Leistungszusage (boLZ) ist dem Wortlaut nach keine Mindestleistung definiert, so dass eine juristische Diskussion entbrannt ist, ob der Beitragserhalt dennoch auch für die boLZ gilt.  Soweit ersichtlich sind alle Versicherer dazu übergegangen, die boLZ nicht mehr mit 100 Prozent  Beitragsgarantie anzubieten, sondern nur noch mit z.B. 60, 80 oder 90 Prozent. Da die Rechtslage zu deren Zulässigkeit offen ist, steht der Arbeitgeber vor einem Dilemma: Der einzelne Arbeitnehmer kann nach § 1a BetrAVG eine betriebliche Altersversorgung per Entgeltumwandlung verlangen und der Arbeitgeber kann sich diesem Rechtsanspruch nicht entziehen. Da es am Markt absehbar keine Produkte
mit einer hundertprozentigen Beitragsgarantie mehr gibt, sind die Unternehmen somit einem  Haftungsrisiko ausgesetzt.

Es ist daher erforderlich, dass der Gesetzgeber wieder einen Gleichlauf des arbeitsrechtlichen Anspruches mit den versicherungsrechtlichen Kapitalanlagevorschriften herstellt. Hierzu ist zumindest eine  Klarstellung bei der beitragsorientierten Leistungszusage (boLZ) erforderlich, dass gesetzlich kein vollständiger Beitragserhalt ge-fordert ist. Nur so können die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern die am Markt verfügbaren Produkte (boLZ mit weniger als 100-Prozent-Garantie) anbieten, ohne unkalkulierbare  Haftungsrisiken in Kauf nehmen zu müssen.

Nachbesserungen beim Sozialpartnermodell
Zum anderen sind auch einige Webfehler des Sozialpartnermodells zu beseitigen, damit die Möglichkeit der reinen Beitragszusage endlich auch in der betrieblichen Praxis gangbar gemacht wird. Die nachfolgenden Änderungsvorschläge würden dem Ziel einer weiteren Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge als Ergänzung zur gesetzlichen Rente zu neuem Aufschwung verhelfen: Zunächst wäre eine gesetzliche Klarstellung hilfreich, was unter „Beteiligung der Tarifvertragsparteien an Steuerung und  Durchführung“ in § 21 Abs. 1 BetrAVG zu verstehen ist. Durch die unklare Formulierung ist ein Risiko nicht ausgeschlossen, dass im Fall des gerichtlich festgestellten Nichtvorliegens dieses Tatbestandsmerkmals  der Arbeitgeber am Ende doch wieder haften muss. Der Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung (§ 1a Abs. 1a BetrAVG) sollte im Sozialpartnermodell ebenfalls tarifvertraglich abbedungen werden können. Es erscheint nur konsequent, dass bei einem Modell, das aktuell nur durch Tarifvertrag geschaffen werden kann, auch dessen Rahmenbedingungen tariflich ausgestaltbar sind. Die momentane gesetzliche Regelung führt dazu, dass in der bestehenden bAV-Welt und im  Sozialpartnermodell keine einheitlichen tariflichen Regelungen umsetzbar sind.

Als problematisch erweist sich auch die verunglückte „Soll-Bestimmung“ zum Sicherungsbeitrag (§ 23  Abs. 1 BetrAVG), da dessen Ausgestaltung den Aushandlungsprozess der Tarifvertragsparteien belastet.
Zudem schmälert die Finanzierung des Sicherungsbeitrags die Ertragschancen. Entweder müsste der Arbeitgeber für den Beitrag aufkommen oder er würde vom Arbeitnehmer finanziert. Letztlich ist diese Absicherung der Betriebsrenten bei der reinen Beitragszusage auch nicht erforderlich. Die Tarifvertragsparteien haben ein ureigenes Interesse daran, dass einerseits ausreichend Sicherungspuffer eingebaut sind, andererseits die angestrebte Rendite erreicht wird. Die Tarifpartner sollten zudem selbst bestimmen dürfen, wer ihren Tarifvertrag zur reinen Beitragszusage in Bezug nehmen darf und die Bezugnahme für Nichttarifgebundene über Betriebsvereinbarung sollte ausdrücklich zur stärkeren Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge ermöglicht werden. Das in § 24 BetrAVG geforderte Tatbestandsmerkmal der „einschlägigen tariflichen Regelung“ schränkt die Bezugnahmemöglichkeiten
zu stark ein.

Um die reine Beitragszusage attraktiver zu machen, sollten die beitrags- und steuerfreien Dotierungshöchstgrenzen abgeschafft oder zumindest synchronisiert werden. Bei der reinen  Beitragszusage sind Beiträge aktuell nur bis 8 Prozent der BBG RV steuerfrei und bis 4 Prozent der BBG RV beitragsfrei. Das erschwert die Konstruktion eines Sozialpartnermodells erheblich: Die reine  Beitragszusage setzt nicht „auf der grünen Wiese“ auf. Das bedeutet, dass die genannten Steuer- und Beitragsfreibeträge schon ganz oder teilweise genutzt werden. Kommen weitere Beiträge im Rahmen der reinen Beitragszusage hinzu, führen sie in vielen Fällen dazu, dass die genannten Grenzen überschritten werden, mithin die Beiträge ganz oder teilweise beitrags- und ggf. steuerpflichtig sind.

Der Begriff „laufende Leistungen“ (§ 22 Abs. 1 S. 1 BetrAVG) sollte durch den Begriff „Altersrente“ ersetzt werden und vorsehen, dass der Pensionsplan stattdessen gegebenenfalls eine Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung vorsehen kann. Überdies sollte gesetzlich ermöglicht werden, die Hinterbliebenenleistung oder die Todesfallleistung im Rahmen der reinen Beitragszusage auch als Kapitalleistung zu erbringen. Insbesondere in Hinblick auf die angestrebte Einbeziehung von älteren Beschäftigten, für die voraussichtlich weniger als 12 Jahre Beiträge im Sozialpartnermodell geleistet werden können, wäre die Möglichkeit der Abfindung von „Kleinanwartschaften“ bis zu einer Kapitalauszahlung von 20.000 € sinnvoll. ■

Die Möglichkeiten für die Arbeitgeber, über die herkömmlichen Zusagearten eine attraktive betriebliche Altersvorsorge ohne Haftungsrisiken anzubieten, sind kaum noch gegeben.

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