Capgemini Invent ist nun das zweite Jahr in Folge Partner des GovTech Gipfels in Berlin. Aber was genau ist denn jetzt GovTech?
Timo Graf von Koenigsmarck:
Das ist ein wichtiger Punkt, denn wir sehen, dass nach wie vor viel Unsicherheit über die Bedeutung des Begriffs herrscht.
GovTech wird im Wesentlichen durch zwei Dinge charakterisiert: Zum einen, dass öffentliche Organisationen und innovative Akteure wie Start-ups gemeinsam technische Lösungen erarbeiten und zum anderen, dass skalierbare Lösungen bei einer Vielzahl öffentlicher Organisationen eingeführt werden können.
Welche Vorteile hat GovTech konkret?
Timo Graf von Koenigsmarck:
GovTech hat ein großartiges Potential: Hier einmal drei Punkte herausgegriffen:
Statt nur eine Lösung für eine einzelne öffentliche Organisation zu entwickeln, setzen wir im GovTech-Ökosystem auf Lösungen, die von vielen öffentlichen Organisationen genutzt werden können. Somit können wir viel effizienter die Modernisierung des Staates realisieren. Hier lässt sich u. a. GovRadar nennen, die zur Automatisierung der komplexen Beschaffungsprozesse bei öffentlichen Organisationen beitragen können. Ein anderes Beispiel ist Polyteia, die mit ihrer Datenplattform die Transformation, Integration und Visualisierung von Daten in öffentlichen Organisationen fördern.
Zudem können wir die spezielle Kompetenz von über 350 GovTech-Start-ups nutzen, um konkrete Herausforderungen öffentlicher Organisationen in Deutschland zu lösen. Beispielweise gibt es mit SUMM ein episches Start-up, das KI-basiert Texte in Leichte Sprache übersetzt. Die Zusammenarbeit mit Start-ups wie diesen ermöglicht es, Tempo bei der Weiterentwicklung von Staat und Verwaltung zu machen.
Als dritten Punkt schaffen wir es durch die Zusammenarbeit zwischen Staat und Start-ups, das innovative Mindset der jungen Unternehmen in die Verwaltung zu bringen. Genauso wird auch das Verständnis der spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen der Verwaltung in Start-ups gestärkt. So können gemeinsam neue Ideen und Lösungsansätze entwickelt werden.
Welche Rolle nehmen Sie als Capgemini Invent dabei ein?
Timo Graf von Koenigsmarck:
Als Leiter des Public Sector bei Capgemini Invent konzentriere ich mich darauf, unsere Kunden bei der Bewältigung der großen, anstehenden Herausforderungen zu unterstützen: Wir verstehen uns als Intermediär im GovTech-Ökosystem, einerseits indem wir öffentlichen Organisationen helfen, geeignete Start-ups zu identifizieren, um konkrete Herausforderungen zu lösen. Darüberhinaus unterstützen wir die Start-ups und den öffentlichen Sektor bei der gemeinsamen Entwicklung und Einführung der technischen Lösungen.
Andereseits sprechen wir mit spannenden Start-ups potenzielle Kunden an, um gemeinsam Projekte zur Modernisierung des Staates voranzubringen.
Der wichtigste Punkt ist jedoch: Wir helfen unseren Kunden, ein Innovationsökosystem aufzubauen und beraten sie als Capgemini Invent dabei, Ideen und Lösungen zu entwickeln, die den Staat auf innovative Weise verbessern.
Welche Erfolge und Meilensteine haben Sie bei der Entwicklung von GovTech in Deutschland gesehen?
Timo Graf von Koenigsmarck:
Zunächst einmal gibt es immer mehr Beispiele, die zeigen wie erfolgreich Start-ups und öffentliche Organisationen zusammenarbeiten können: Beispielsweise hat das zuvor genannte GovTech-Start-up Polyteia mit dem Land Berlin eine Lösung entwickelt, um die Daten des Wohnungsbaus aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen. Dadurch kann die Entwicklung des Wohnungsmarktes besser erfasst werden.
Ein großes Lob gilt aber auch für die treibenden Kräfte hinter der Gründung des GovTech Campus Deutschland wie Markus Richter oder Lars Zimmermann, das Land Hessen oder die Hansestadt Hamburg und natürlich auch für die vielen weiteren Bundesländer und Organisationen, die sich inzwischen dem Campus angeschlossen haben. Der GovTech Campus ist ein hervorragender Ort zur Vernetzung der verschiedenen Akteure aus dem GovTech Ökosystem. Als Capgemini Invent sind wir nahezu täglich am Campus vor Ort und unterstützen dort beispielsweise ein interministerielles Projekt zur digitalen Identität. Dass auch immer mehr Ableger des GovTech Campus in den Bundesländern gegründet werden, ist ein sehr wichtiges Signal für die Verbreitung von GovTech in Deutschland.
Hervorzuheben ist auch die von Anna Christmann verantwortete Start-up Strategie der Bundesregierung, die darauf abzielt, die Rahmenbedingungen für Start-ups zu verbessern und dadurch Gründungen zu erleichtern sowie die Finanzierung zu stärken.
Es zeigt sich, dass viele wichtige Aspekte zur Weiterentwicklung von GovTech in Deutschland aufgegriffen werden, die zur Modernisierung des Staates beitragen können.
Was braucht es jetzt noch, damit GovTech in Deutschland so richtig erfolgreich wird?
Timo Graf von Koenigsmarck:
Aktuell sind die Vergaben öffentlicher Organisationen der Flaschenhals. Durch formale Hürden sind die Chancen für Start-ups von Anfang an sehr gering, die Ausschreibungen zu gewinnen. Hier braucht es den Mut auch innovative Vergabemöglichkeiten wie Innovationspartnerschaften oder Challenges zur Lösung von Herausforderungen zu nutzen. Der Vergabeprozess ist so zu gestalten, dass eine Vergabe über derartige, innovative Formate formal geregelt ist.
Ein zweiter Aspekt bezieht sich auf die Cloud, die von Start-ups genutzt wird: Aktuell dominieren die drei Hyperscaler Amazon, Microsoft und Google das europäische Cloudgeschäft. Die Vorteile der Hyperscaler müssen auch den deutschen GovTech-Start-ups zur Verfügung stehen. Gegenwärtig ist das aus Vorbehalten gegneüber. der Sicherheit und teilwese wegen der Rechtsvorschriften schwierig. Hier braucht es Klarheit für die GovTech-Szene, welche Anforderungen an eine Cloud erfüllt sein müssen. Im Idealfall können zukünftig nationale Lösungen wie bspw. die Delos Cloud oder unterschiedliche Funktionalitäten der deutschen Verwaltungscloud neben den internationalen Hyperscalern genutzt werden. Nur dann ist die skalierte Nutzung von GovTech-Lösungen möglich.
Der letzte Punkt bezieht sich auf die Finanzierung von GovTech-Start-ups. Für diese ist es aus unterschiedlichen Gründen momentan schwieriger, Fremdkapital einzusammeln als für Start-ups, die die Privatwirtschaft adressieren oder im internationalen Vergleich. Ein konkretes Beispiel ist hier das super spannende GovTech-Start-up Aleph Alpha aus Heidelberg, die KI-Lösungen erarbeiten. Diese verfügen weniger als ein Prozent des Kapitals, welches dem amerikanischen Wettbewerbers OpenAI zu Verfügung steht. Die Bereitstellung staatlichen Wagniskapitals für den GovTech-Markt würde die weitere Entwicklung sehr fördern und den Stellenwert innovativer Lösungen für den öffentlichen Sektor in Deutschland hervorheben.