Die Schlüsselrolle des Aufsichtsrats in der KI-Revolution

Die voranschreitende Digitalisierung und die rasanten Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI) haben weltweit tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft und insbesondere auf die Geschäftswelt. Diese dynamische Entwicklung eröffnet neue Herausforderungen und Chancen, insbesondere in Zeiten, in denen technologischer Fortschritt nicht mehr in Jahren, sondern in Monaten oder Wochen gemessen wird. Besonders in deutschen Unternehmen mit ihrer traditionsreichen Wirtschaftsstruktur wird die Integration von KI-Technologien zu einer zentralen Herausforderung.

In dieser Entwicklung übernimmt der Aufsichtsrat eine zentrale Funktion, indem er die strategischen Entscheidungen des Vorstands überwacht und sicherstellt, dass die potenziellen Auswirkungen der KI auf das Geschäftsmodell und die Wettbewerbsfähigkeit entsprechend gewürdigt werden. Dafür ist es ratsam, dass der Aufsichtsrat nicht nur als Kontrollinstanz reagiert, sondern sich auch als aktiver Ratgeber engagiert. Dazu bedarf es keinesfalls nur technischen Spezialwissens im Aufsichtsrat, sondern eines guten Verständnisses über Chancen und Risiken der KI sowie vor allem der Bereitschaft, sich damit intensiv zu beschäftigen.

Künstliche Intelligenz selbst ist nicht neu, generative KI hingegen schon

Seit 1956 gibt es den Begriff und das Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI), die eine Vielzahl von Verfahren erbracht hat, mit denen kognitive Fähigkeiten, die normalerweise Menschen vorbehalten sind, mit Computern nachgebildet werden können. In diesem Kontext kommt dem maschinellen Lernen (ML), welches fälschlicherweise oft synonym mit KI verwendet wird, eine zentrale Bedeutung zu. Maschinelles Lernen ist ein Teilbereich der KI, welcher sich mit Algorithmen befasst, die aus Daten induktiv Modelle „erlernen“, ohne explizit programmiert zu werden. Diese Modelle können das Verhalten der Daten beschreiben oder prognostizieren und so intelligente Vorhersagen treffen oder sogar Entscheidungen fällen. Dieser Ansatz ist essenziell für die Realisierung adaptiver Systeme, die in der Lage sind, auf komplexe Herausforderungen und sich verändernde Anforderungen in Echtzeit zu reagieren.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz erstreckt sich über diverse Anwendungsbereiche von der Automatisierung von Arbeitsprozessen über intelligente E-Mail-Filter und Empfehlungssysteme bis hin zu Aufgaben wie der Bild- und Spracherkennung. Diese weitreichenden Einsatzmöglichkeiten und die damit einhergehende Transformation von Arbeitsprozessen verdeutlichen die entscheidende Rolle von künstlicher Intelligenz, insbesondere des maschinellen Lernens, in der modernen technologischen Landschaft.

In jüngster Vergangenheit ist der Bereich der generativen KI (GenAI) entstanden und zieht große Aufmerksamkeit auf sich. GenAI beschreibt eine Teilmenge von Verfahren aus dem maschinellen Lernen, welche einen Schritt weiter gehen als die bisherigen Ansätze. Sogenannte Basismodelle (engl. foundation models) der generativen KI sind in der Lage, menschliche Tätigkeiten insofern zu imitieren, dass Maschinen dazu befähigt werden, neue digitale Artefakte wie Texte, Computercode, Bilder oder Videos zu schaffen, die plausibel sind und von menschlich erstellten Inhalten kaum oder gar nicht zu unterscheiden sind. Dabei sind diese auf sehr große Datenmengen trainierten und mit extrem viel Rechenleistung entwickelten Basismodelle so flexibel in der Anwendung, dass diese eingesetzt werden können, ohne auf Basis eigener Daten erstellt werden zu müssen.

Wo bisher die Wertschöpfung durch Automatisierung durch die mangelnde Fähigkeit, große Mengen unstrukturierter Daten zu verarbeiten, begrenzt und daher auf Aufgaben mit geringem kreativem Schwierigkeitsgrad und geringer Kontextvariabilität beschränkt war, ist dies mit generativer KI nicht mehr der Fall. Selbst die Details einer Strategieentwicklung können immer stärker durch KI unterstützt werden.

Disruption von Geschäftsmodellen und Arbeitsstrukturen durch KI

Die disruptive Wirkung der KI erstreckt sich über den direkten Technologieeinsatz hinaus und beeinflusst Geschäftsmodelle sowie Arbeitsstrukturen. Laut einer Studie von Goldman Sachs könnten in naher Zukunft etwa 25 Prozent aller Tätigkeiten von generativer KI beeinflusst werden, was 300 Millionen Arbeitsplätze betrifft.[1] Die Effekte von und durch KI dürfen nicht unterschätzt werden, da Unternehmen plötzlich mit einem Wandel konfrontiert werden, der nicht mehr in langen Planungszyklen, sondern in agilen, schnellen Reaktionen gemessen wird. Im Gegensatz zu anderen Technologien, bei denen Entwicklungen Jahre dauerten, vollzieht sich der Wandel durch KI aktuell in Monaten oder sogar Wochen. Diese rasche Veränderungsgeschwindigkeit kann erhebliche Herausforderungen sowohl für Geschäftsmodelle als auch für die Mitarbeitendenund ethische Fragestellungen mit sich bringen. Die Einführung von KI-Technologien verändert dabei nicht nur die Arbeitsweise von Unternehmen, sondern auch ihre Position im Markt. KI birgt das Potenzial, durch intelligente Automatisierung nie dagewesene Effizienzsteigerungen zu ermöglichen, Geschäftsmodelle umfassend zu transformieren und neue Wachstumschancen zu eröffnen. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass bestehende Geschäftsmodelle durch KI obsolet werden.

Potenziale und Herausforderungen im Kontext künstlicher Intelligenz

Die Anwendungsbereiche für KI-Lösungen sind äußerst vielseitig und erstrecken sich von Absatz- und Bedarfsprognosen über Betrugserkennung und personalisiertes Marketing bis hin zur Qualitätssicherung in der Produktion. GenAI eröffnet dabei weitere innovative Perspektiven. So können Service-Mitarbeitende in Echtzeit automatisch generierte Vorschläge für kundenorientierte Interaktionen von einer „Agent Assist“-KI erhalten, und eine weitere kann die Gesprächsnotizen erfassen und zusammenfassen. KI-gestütztes Coaching in Echtzeit ist ebenfalls aus dem Bereich des Wissensmanagements und ermöglicht ein schnelleres Onboarding von Mitarbeitende und deren Unterstützung bei Fragen im täglichen Betriebsablauf. In der Medizin wird mit GenAI gearbeitet, um personalisierte Behandlungspläne basierend auf individuellen Patientendaten zu entwickeln. Im Bereich der Softwareentwicklung unterstützt generative KI Entwickler mit automatisch generierten Codevorschlägen und bei der Dokumentation.Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ermöglicht die Steigerung der Prozesseffizienz, einen höheren Personalisierungsgrad und nicht zuletzt die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle. Die intelligente Automatisierung repetitiver Aufgaben erlaubt, dass sich Mitarbeitende vermehrt auf komplexe, wertschöpfende Tätigkeiten einschließlich solcher mit hoher Sozialkomponente konzentrieren können. KI bietet auch eine Chance, den demografischen Wandel zu bewältigen und den Fachkräftemangel zu mildern.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz bleibt nicht ohne Risiken. Dazu zählen Sicherheitsrisiken, die sich aus Datenlecks, dem fahrlässigen Umgang mit vertraulichen Informationen, Manipulationen oder übermäßigem Vertrauen ergeben können. Darüber hinaus besteht die Gefahr des ausbleibenden Erfolgs, wenn eine unzureichende Abstimmung mit den Geschäftszielen, mangelnde Integration in bestehende Prozesse, eingeschränkte Skalierbarkeit oder ungenügende Investitionen in Schulung, Technologie und Wartung vorliegen. Hinzu kommen mögliche ethische Dilemmata, darunter Bias und Diskriminierung, sowie die Herausforderung der Akzeptanz durch Mitarbeitende.

Dieser Akzeptanz steht die einfache Nutzung von generativer KI gegenüber. Wenn nicht nur Expert:innen, sondern alle Mitarbeitende direkt mit KI-Systemen arbeiten kann, ergibt sich einerseits ein größeres Potenzial, andererseits steigt aber auch das Risiko durch inadäquate Nutzung. Gerade bei GenAI, die gelegentlich fiktive Informationen „halluziniert“, ist übermäßiges Vertrauen in die Technologie ein Risiko, was gravierende Folgen haben kann, wie das Beispiel eines Rechtsanwaltes zeigt.[2] Daher ist es entscheidend, auch mit sehr zugänglichen Technologien wie generativer KI kritisch umzugehen.

Abschließend ist zu betonen, dass das Risiko, welches durch die Nichtanwendung dieser Technologie entsteht, nicht unterschätzt werden sollte.

Navigationshilfen für den Einsatz von KI im Unternehmen

Künstliche Intelligenz beschreibt ein komplexes und vielseitiges Technologiefeld, welches rasanter Weiterentwicklung unterliegt und dabei stetig tiefer in alle Bereiche unseres Lebens eindringt. Die beschriebene Vielseitigkeit ist einer der Gründe, warum KI oft als eine Basistechnologie wie die Dampfmaschine oder die Elektrizität beschrieben wird. Grund genug, dass Aufsichtsräte eine aktive Rolle einnehmen sollten, um sicherzustellen, dass KI von ihrem Unternehmen wertschöpfend und verantwortungsvoll genutzt wird.

Für einen vertrauenswürdigen und effektiven Einsatz von KI sind nicht nur eine klare Strategie und ausreichende Kompetenzen im Unternehmen erforderlich, sondern auch eindeutige Nutzungsrichtlinien und ethische Prinzipien sowie genügend finanzielle Mittel. Eine schnell voranschreitende und komplexe Thematik wie KI erfordert oft auch die Einbeziehung von externen Fachleuten.

Zunächst ist es unerlässlich, dass im Aufsichtsrat selbst ein grundlegendes Verständnis für KI einschließlich ihrer Chancen und Risiken vorhanden ist. Gleichzeitig ist es notwendig, dieses Verständnis auch in der Vorstandsetage und in der Belegschaft zu fördern, um die Akzeptanz von KI-Lösungen zu sichern, das Vertrauen in die Technologie zu stärken und relevante Einsatzmöglichkeiten zu identifizieren. KI-Expertise sollte daher durch geeignete Aus- und Weiterbildungen gefördert werden und auch als Kriterium bei der Bestellung eines Vorstandes Eingang finden, denn KI-Expertise ist in DAX-Aufsichtsräten noch unterrepräsentiert.[3]

Weiterhin sollte der Aufsichtsrat die ethischen Fragestellungen und die Definition von Leitlinien für den Einsatz von KI diskutieren, die im Einklang mit den formulierten Werten des Unternehmens stehen und dabei ausdrücklich die Berücksichtigung und Bewertung der mit KI verbundenen Risiken und die Regulatorik wie den EU AI Act einschließen.

Aufsichtsräte sollten darauf hinwirken, dass beim Thema KI weitsichtig gehandelt und dies mit einer langfristigen Perspektive im Unternehmen verankert wird. Dazu gehört auch, ausreichende finanzielle Mittel bereitzustellen, um ein derart zukunftsweisendes Thema adäquat zu unterstützen.

Schließlich sollten Mitarbeitende die Möglichkeit zum Experimentieren gegeben werden und auch die Mitglieder des Aufsichtsrates selbst sollten sich praktisch mit der Technologie vertraut machen. Da Letztere oft vorab über Informationen verfügen, die noch nicht öffentlich zugänglich sind, ist besondere Sorgfalt nötig, um die Integrität und Vertraulichkeit der Informationen zu gewährleisten.

Bei exponentiellem Wachstum ist der Zeitpunkt zum Handeln dann, wenn es noch zu früh scheint.

[1] Goldman Sachs: The Potentially Large Effects of Artificial Intelligence on Economic Growth (Briggs/Kodnani), https://www.gspublishing.com/content/research/en/reports/2023/03/27/d64e052b-0f6e-45d7-967b-d7be35fabd16.html, abgerufen am 15.01.2024.

[2] The Verge: Former Trump lawyer Michael Cohen accidentally cited fake court cases generated by AI, https://www.theverge.com/2023/12/29/24019067/michael-cohen-former-trump-lawyer-google-bard-ai, abgerufen am 15.01.2024.

[3] Handelsblatt: KI-Expertise spielt in Dax-Aufsichtsräten noch kaum eine Rolle, https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/corporate-governance-ki-expertise-spielt-in-dax-aufsichtsraeten-noch-kaum-eine-rolle/29202200.html, abgerufen am 15.01.2024.