Das Potenzial von GovTech nutzen? Zurück zu den Start-ups!

GovTech hat bei immer mehr Akteuren der Verwaltungsdigitalisierung – darunter nicht nur die Verwaltung selbst, sondern auch öffentliche IT-Dienstleister, Beratungsunternehmen und große Tech-Konzerne – Interesse geweckt. Vielfältige Wettbewerbe, Konferenzen, Veranstaltungen, Förderprogramme sowie die Etablierung des GovTech Campus Deutschland sind Ausdruck der großen Begeisterung.

Das Potenzial von GovTech nutzen? Zurück zu den Start-ups!

Teils diente die GovTech-Diskussion Akteuren dabei als Inspiration, Prozesse, Geschäftsbeziehungen und Lösungen ernsthaft neu zu denken. In anderen Fällen wurde der GovTech-Begriff eher als Chance genutzt, die eigenen, etablierten Aktivitäten in ein neues, innovativ anmutendes Gewand zu kleiden. GovTech bezeichnet heute vielfach nicht mehr eine spezifische Gruppe von Unternehmen, sondern eher bestimmte Ansätze und Praktiken der Verwaltungsdigitalisierung. Dieser Schritt der Abstraktion entkoppelt den GovTech-Begriff jedoch von seinem Ursprung mit dem Fokus auf jungen Tech- Unternehmen, vor allem Start-ups, die digitale Lösungen für den öffentlichen Sektor anbieten.

Diese Bedeutungsausweitung des GovTech-Begriffs ist aus unserer Sicht problematisch. Sie führt zu einer Verdrängung der ursprünglichen Akteure und verstellt den Blick auf die Disruption, die dem GovTech-Trend zugrunde liegt: die bewusste Erweiterung der Akteurslandschaft der Verwaltungsdigitalisierung um Start-ups, Scale-ups und KMUs, die innovative, digitale Lösungen für Staat und Verwaltung anbieten.

Es ist genau diese Disruption, die wir – Forscher wie Praktiker – besser verstehen müssen. Wie können diese fundamental verschiedenen Organisationstypen erfolgreich zusammenfinden? Dieser Frage untersuchen wir in einem aktuellen Forschungsprojekt, in dem wir die Erfahrungen und Einschätzungen von GovTech-Gründer: innen und -Vertreter:innen erheben. Drei Erkenntnisse stechen dabei bereits hervor:

  1. Junge GovTech-Unternehmen sind keine homogene Masse, sondern zeichnen sich durch starke Heterogenität aus.
  2. Um diese sehr unterschiedlichen Unternehmen effektiv und nachhaltig in die Verwaltungsdigitalisierung einzubinden, braucht es vielfältige Wege der Zusammenarbeit und Unterstützung.
  3. Die bestehenden GovTech-Initiativen werden diesem Anspruch noch nicht gerecht und GovTech-Gründer: innen sehen diese zu wenig auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet.

GovTech-Unternehmen ≠ GovTech-Unternehmen

Unsere Interviews mit jungen GovTech-Unternehmen in Deutschland zeigen, dass diese sich im Hinblick auf ihre Genese stark unterscheiden. Während manche von ihnen auf unabhängige Teams von Gründer:innen zurückgehen, sind andere aus den Inkubatoren deutscher Universitäten hervorgegangen. Wieder andere sind Ausgründungen größerer IT- und Beratungsunternehmen. Vereinzelt gibt es sogar junge GovTech-Unternehmen, die dem öffentlichen Sektor selbst entstammen und von Verwaltungen ausgegründet wurden.

Es erschließt sich schnell, dass mit diesen verschiedenen Gründungsprozessen auch unterschiedliche Geschäftsmodelle und Kapazitäten einhergehen. Jungunternehmen mit dem Backing etablierter Konzerne verfügen über mehr Ressourcen, um die häufig von Ungewissheit und Eintrittshürden geprägte Anfangsphase im öffentlichen Sektor zu überstehen. Jungunternehmen mit öffentlichen Institutionen im Rücken haben wiederum bessere Netzwerke und tieferes Sektorenwissen, die es ihnen erlauben, schneller mit potenziellen Kund:innen ins Gespräch zu kommen.

Auch im Hinblick auf Prioritäten und Motive unterscheiden sich die jungen GovTech-Unternehmen erheblich. Fast alle von uns interviewten Unternehmen haben es sich zum Ziel gesetzt, mit ihren Lösungen staatliche und gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Aber während manche von ihnen Lösungen anbieten, die ausschließlich für den öffentlichen Sektor und oft mit einem sehr engen Fokus auf einzelne Politikbereiche wie Umwelt oder Mobilität bestimmt sind, können andere mit ihren Lösungen parallel auch den privatwirtschaftlichen Markt bespielen und dadurch eventuelle Startschwierigkeiten im öffentlichen Sektor überbrücken bzw. ausgleichen.

Die Wege der Zusammenarbeit sind divers

Genauso, wie sich junge GovTech-Unternehmen unterscheiden, unterscheiden sich auch die Wege der Zusammenarbeit zwischen ihnen und dem öffentlichen Sektor. Der direkteste Weg besteht darin, dass öffentliche Organisationen Lösungen genau in der Form ankaufen oder mieten, wie die Unternehmen sie anbieten. In vielen Fällen verlangen Verwaltungen jedoch, dass GovTech-Unternehmen die Lösungen an ihre Bedürfnisse oder bestehende Infrastrukturen anpassen. Das kostet Zeit und Ressourcen, über die viele Jungunternehmen nur eingeschränkt verfügen. Die Abänderung einer Cloud-basierten SaaS-Lösung hin zu einer On-Premise betriebenen Lösung, die mit einer einmaligen Zahlung gekauft wird, ist ein häufiger Wunsch öffentlicher Verwaltungen. SaaSStart- ups verfolgen jedoch typischerweise Geschäftsmodelle, die auf kleine Teams und die Skalierung einer generischen Lösung über einen großen Markt hinweg ausgerichtet sind. Die Installation und Instandhaltung vieler lokal angepasster Lösungen lässt sich in diesem Kontext nur schwer realisieren.

In einigen Fällen arbeiten Verwaltungen eng mit Jungunternehmen zusammen, um im Sinne der „Co- Creation” eine neue Lösung von Grund auf zu schaffen. Dies wird oft über sogenannte Ideenwettbewerbe initiiert, in denen Start-ups darum konkurrieren, die beste Lösung für eine Herausforderung des öffentlichen Sektors zu entwickeln. Ein vierter Weg der Zusammenarbeit sind allgemeinere Initiativen oder Veranstaltungen zum Austausch und Networking zwischen Jungunternehmen und dem öffentlichen Sektor, in denen beide Seiten Wissen miteinander teilen, um den Grundstein für engere Kooperationen zu legen.

Das Thema Vergabe hängt jedoch wie ein Schatten über diesen Formen der Zusammenarbeit. Viele junge GovTech-Unternehmen kämpfen gerade in ihrer Anfangsphase jeden Tag um die eigene Existenz und können es sich nicht leisten, Arbeit in Co-Creation, die Anpassung von Lösungen oder zeitaufwändige Anbahnungsgespräche zu stecken, wenn ungewiss ist, ob sich diese auch finanziell auszahlen. Und selbst, wenn eine Beauftragung in Aussicht steht, ziehen erfolgreiche Verkaufsgespräche noch zu häufig mehrmonatige Vergabeprozesse nach sich. Das ist Zeit, über die viele Jungunternehmen nicht verfügen.

Bestehende Initiativen werden den Bedürfnissen noch nicht gerecht

Politik, Verwaltung und auch Unternehmen haben das Potenzial von GovTech klar erkannt. In den letzten Jahren haben sie eine Vielzahl von Initiativen gestartet, um ein deutsches GovTech-Ökosystem aufzubauen. Prominentestes Beispiel ist der GovTech Campus Deutschland mit regionalen Niederlassungen. Dazu kommen der jährliche GovTech-Gipfel, verschiedene Ideenwettbewerbe und Preise, die Neugründung von eigenen Gov- Tech-Ansprechpartnern oder -Einheiten in der Verwaltung sowie spezielle Accelerator-Programme. Sie alle eint das Ziel, das Thema GovTech in Deutschland voranzubringen.

Unsere Interviews mit Jungunternehmen zeigen allerdings, dass die Unterstützung insbesondere dieser zentralen Akteursgruppe des GovTech-Ökosystems bislang nur unzureichend gelingt. Die Gründer:innen beklagen, dass Jungunternehmen an einigen prominenten Initiativen gar nicht teilnehmen können bzw. zunehmend von Akteuren aus Beratung und BigTech verdrängt würden. In anderen Fällen beklagen sie, dass Initiativen zu wenig Raum zur Präsentation ihrer digitalen Lösungen und Produkte ließen.

Auch fehle es häufig an der Passgenauigkeit der Kontakte. Die größte Priorität junger GovTech-Unternehmen ist es, konkrete Aufträge durch die Verwaltung zu gewinnen. Sonst droht ihnen die Existenznot. Hierfür sind Kontakte zu Entscheidungsträger:innen aus den tatsächlichen Fachbereichen und Beschaffungsstellen der Verwaltung entscheidender als der allgemeine Austausch mit CIOs, Beratungsunternehmen oder etablierten Anbietern. Für die Jungunternehmen wertvoll sind besonders Initiativen mit stark regionalem Charakter, wie beispielsweise die Start-up-Einheit GovTecHH in Hamburg. Potenzial sehen die Jungunternehmen auch in Ideenwettbewerben, wenn diese in konkreten Aufträgen für die siegreichen Unternehmen gipfeln und somit eine Vereinfachung von Vergabeprozessen bewirken können. Auf derartigen Erfolgsmodellen sollte aufgebaut werden, um passgenauere Initiativen für junge GovTech-Unternehmen anzubieten.

Insgesamt unterstreichen unsere Interviews die Notwendigkeit, zu den Ursprüngen des GovTech-Begriffs zurückzukehren: die Unterstützung und Nutzung von Start-ups, Scale-ups und KMUs zum Zweck der Verwaltungsdigitalisierung. Ansonsten steht zu befürchten, dass der ursprünglich disruptive GovTech-Trend vollends ausgebremst und von etablierten Akteuren vereinnahmt wird. Wenn es nicht gelingt, bessere und spezifischere Unterstützungsleistungen anzubieten, besteht die reale Gefahr, dass sich die Jungunternehmen notgedrungen in Richtung privatwirtschaftlicher Kund:innen bzw. ausländischer Verwaltungen umorientieren. Das große Potenzial dieser Akteure für die deutsche Verwaltungsdigitalisierung wäre damit verloren.

Jessica Breaugh, Lecturer an der ESCP und Fellow am Centre for Digital Governance der Hertie School
Gerhard Hammerschmid, Professor für Public Management und Direktor des Centre for Digital Governance der Hertie School
Moritz Kleinaltenkamp, Postdoc an der Copenhagen Business School und Fellow am Centre for Digital Governance der Hertie School

Unsere Interviews unterstreichen die Notwendigkeit, zu den Ursprüngen zurückzukehren: Die Unterstützung und Nutzung von Start-ups, Scale-ups und KMUs zum Zweck der Verwaltungsdigitalisierung.

Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Government Technology“ erschienen.

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