Die Verwaltung muss somit in einem überschaubaren Zeitraum einen erheblichen Produktivitätssprung erreichen. Die Digitalstrategen in Behörden müssen dabei neue Prioritäten setzen, um Sachbearbeitung zur Wissensarbeit weiterzuentwickeln. Alles andere wird radikal vereinfacht und automatisiert werden.
Die zunehmende Offenheit gegenüber Kooperationen mit der wachsenden GovTech-Community in Deutschland und Europa wird dabei für Tempo sorgen. 47 Prozent der Entscheiderinnen und Entscheider in der öffentlichen Verwaltung – auf Bundes- und Landesebene sind es 63 Prozent – wollen stärker mit Start-ups zusammenarbeiten, ergibt eine Forsa-Befragung für den Branchenkompass Public Sector von Sopra Steria und dem F.A.Z.-Institut. 55 Prozent planen zudem den Einsatz Künstlicher Intelligenz, um Verfahren zu optimieren. Das ist ein Beleg für einen Bewusstseinswandel, aber auch für den Druck in den Behörden, neue Wege zu gehen.
Ein besonders großes Potenzial von GovTech-Kooperationen liegt in der Automatisierung von Frontend-Abläufen. Gemeint sind die vorgelagerten Prozesse, wenn beispielsweise Bürgerinnen und Bürger – häufig ohne spezifische Kenntnisse – auf behördliche Dienstleistungen stoßen. Hier ergibt sich ein weites Betätigungsfeld, um zwischen der stark rechtlich geprägten Verwaltungswelt und der Bürgerin und dem Bürger in ihrer konkreten Lebenslage eine Verständigungsbrücke zu schlagen. Durch den Einsatz neuer Technologien können nachgelagert das Zusammenstellen von Unterlagen, die Vorabprüfung von Anträgen oder die Echtheitsprüfung von Dokumenten in weiten Teilen automatisiert werden.
Einsatzfelder mit aktuellem Bezug sind beispielsweise das automatisierte Einwendungsmanagement bei Baugenehmigungen für Windparks oder die Widerspruchsverfahren im Rahmen der neuen Grundsteuererhebung. Die digitale Bearbeitung erlaubt mehr Parallelisierungen, kooperatives Arbeiten über Behördengrenzen hinweg und die intelligente inhaltliche Erschließung unter anderem der relevanten rechtlichen Aspekte. Behörden können so Bearbeitungszeiten verkürzen und menschliche Expertise deutlich effizienter einsetzen.
Von GovTechs profitieren
Bei den gezeigten Beispielen ist es für Behörden zudem niedrigschwellig, externe GovTech-Partner an Bord zu holen. Durch eine enge Zusammenarbeit können sowohl Behörden als auch Start-ups voneinander lernen und gemeinsam neue Lösungen entwickeln. GovTech-Start-ups haben qua Geschäftsmodell innovative Lösungen und Ideen, die dazu beitragen, Prozesse zu optimieren und zu automatisieren. Es steckt in ihrer DNA, kundenorientierte sowie effiziente Frontends, Apps und Customer Journeys zu entwickeln. Von diesen Alleinstellungsmerkmalen können Verwaltungen unmittelbar und nachhaltig profitieren.
Der Public Sector kann in diesem Co-Creation-Ansatz seine eigenen Stärken einbringen. Die öffentliche Verwaltung kann insbesondere dafür sorgen, dass die eingesetzten Algorithmen die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns unterstützen und nicht gefährden.
Flexibilität als Grundprinzip
Automatisierungsvorhaben konzentrieren sich auf Massen- und Standardfälle, sind damit ein Treiber für die Vereinfachung von Verfahren. Die IT-Systeme müssen entsprechende Programmierschnittstellen (APIs) extern verfügbar machen, um in organisationsübergreifenden Szenarien entsprechende Potenziale auch tatsächlich heben zu können. Das fördert die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Verwaltungsebenen sowie zwischen Behörden und ihren Partnern. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Modernisierung der deutschen Registerlandschaft und die Einführung digitaler Identitäten.
Der Austausch und die Zusammenarbeit, beispielsweise auf Plattformen wie dem GovTech Campus, werden den nötigen Vereinfachungsprozess durch den Blick von außen maßgeblich beflügeln. Das kann beispielsweise geschehen, indem die Plattformen ihre Ideen und Lösungen für eine vereinfachte Online-Identifizierung beisteuern, indem sie mithelfen, auch Unternehmen wie Versicherer und Banken sicher und automatisiert an Behördenregister anzubinden, und indem sie gute Vorhaben wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zusammen mit den Behörden weiterdenken, so dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Personalabteilungen gleichermaßen entlastet werden.
Dass die öffentliche Verwaltung in Deutschland die Voraussetzungen für nötige Automatisierungsmaßnahmen schaffen kann, hat sie mehrfach gezeigt. Beispiele dafür sind die verkürzten Einzelfallgenehmigungen, um die Energieversorgung zu sichern, oder unbürokratische Entscheidungen während der Pandemie. Der Pragmatismus und die Flexibilität, die wir in der Krise zeigen, sind in einer dynamischen Welt eigentlich eine permanente Anforderung und sollten als Grundprinzipien Einzug halten.