Von der grauen Theorie in die grüne Praxis: Die Inbetriebnahme des ersten PEM-Elektrolyseurs im Ruhrgebiet

Es ist noch nicht lange her, da kannte die Euphorie über Wasserstoff keine Grenzen. Das Gas wurde als DER neue Heilsbringer für eine CO2-neutrale Industrie gehandelt. Doch wie viel ist nach dem ersten Überschwang davon noch übrig?

Eins vorweg – Wasserstoff ist und bleibt ein unerlässlicher Bestandteil für die Energiewende in der Industrie und Mobilität. Ebenso wichtig ist es zu erkennen, dass die Elektrifizierung von Produktionsprozessen und des Transportwesens am Anfang der Dekarbonisierungsbestrebungen steht. Doch diese stößt auch an Grenzen und kommt aus unterschiedlichen Gründen nicht überall zum Tragen. Und überall dort, wo eine Elektrifizierung nicht sinnvoll ist, kommt Wasserstoff zum Einsatz. Ohne Wasserstoff werden wir die Energiewende nicht stemmen können.

Air Liquide und Wasserstoff – eine lange Historie

Air Liquide befasst sich bereits seit mehr als 60 Jahren mit der Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff. Im Rahmen der Transformation haben wir diese Aktivitäten weiterentwickelt und tätigen Investitionen in signifikantem Umfang. So haben wir beispielsweise Ende 2023 unser Joint Venture mit Siemens Energy in Berlin gestartet. Dort werden in einer automatisierten Weise Elektrolyseur-Module, sogenannte Stacks, im Gigawatt-Bereich gefertigt, die später bei der Produktion von nachhaltigem Wasserstoff zum Einsatz kommen.

Gleichzeitig ist es wichtig, uns nicht nur auf neue Produktionsanlagen zu fokussieren, sondern auch bestehende, wettbewerbsfähige Anlagen weiter zu dekarbonisieren. Zum Beispiel haben wir unsere erdgasbasierte Wasserstoffanlage – ebenfalls in Oberhausen –  mit einer CO2-Abscheidung ausgerüstet, um dieses wiederzuverwerten.

Wir sind davon überzeugt, dass die Kombination von neuen mit bestehenden, emissionsreduzierten Anlagen der Königsweg ist, um die CO2-Ziele zu erreichen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben.

“Trailblazer” – der Wegbereiter

Der erste, von Air Liquide errichtete Proton Exchange Membrane-Elektrolyseur (kurz PEM) befindet sich aktuell in der Testphase und wird voraussichtlich in wenigen Wochen in den kommerziellen Betrieb gehen. Das Projekt wurde “Trailblazer”, also Wegbereiter genannt. Und genau das ist das Projekt, im wahrsten Sinne des Wortes. Es zeigt neue Wege und Möglichkeiten auf, wie die Energiewende in der Industrie gelingen kann.

“Trailblazer”, der unsere Wasserstoff-Pipeline direkt versorgt, ist dabei das erste Projekt, welches Air Liquide mit Siemens Energy umgesetzt hat. Aber zu denken, dass nur die Stacks allein den Elektrolyseur ausmachen, wäre zu kurz gegriffen. Ebenso viel Beachtung benötigt die Peripherie der Anlage, wie das Elektrizitätsmanagement, die Reinigung oder auch die Verdichtung der produzierten Gase Wasserstoff und Sauerstoff. Auch hier haben wir viel investiert. Der Vorteil unseres Elektrolyseurs liegt auf der Hand: Er ist flexibel, kann innerhalb von Sekundenbruchteilen hoch- und runtergefahren werden, ist kompakt, modular und dadurch skalierbar. Der Wegbereiter in Oberhausen ist mit seinen 20 Megawatt der derzeit größte, an eine Wasserstoff-Pipeline angeschlossene Elektrolyseur in Deutschland.

Gleichzeitig bietet der Betrieb unserer Anlage bereits heute neue Erkenntnisse, aus denen wir für unsere anderen Projekte wichtiges Fachwissen abschöpfen. Dieses Know-how können wir auf weitere Projekte übertragen, wie beispielsweise unseren zehn Mal so großen Produktionsstandort für erneuerbaren Wasserstoff im Norden Frankreichs namens “Normand’Hy”.

Hürdenlauf

Was uns als Investor, Bauherr und Nutzer von Elektrolyseuren aktuell noch das Leben schwer macht, kann ich im Wesentlichen auf vier Punkte herunterbrechen. Zum einen brauchen wir bezahlbare, wettbewerbsfähige erneuerbare Energie. Das bedeutet auch, dass wir noch mehr Erneuerbare ausbauen müssen. Hier sind wir zu langsam und haben noch Steigerungspotenzial.

Hinzu kommt, dass wir eine effizientere Förderpolitik brauchen. Wenn ich effizienter schreibe, meine ich insbesondere pragmatischer und schneller. Gleichzeitig brauchen wir dringend eine Zertifizierung für erneuerbaren Wasserstoff von offizieller Seite. Nur so schaffen wir es, dass dieser attraktiv wird. Zudem brauchen wir Anreize für die Nachfrage, wie zum Beispiel durch grüne Leitmärkte, und eine einfache Regulierung.

Kurzum: Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist einer von mehreren Schlüsselfaktoren, um die Energiewende in der Industrie und der Mobilität voranzubringen. Aber er ist kein Selbstläufer. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Lasst es uns angehen, Wirtschaft und Politik vereint für ein Ziel: eine grüne Zukunft für viele weitere Generationen.